Das Diagramm macht die Situation klar. Stella bewegt sich entlang der durch die blauen Pfeile gegebenen Trajektorie. Auf der Erde vergeht zweimal die Zeit Δt, bis sie zurückkommt, während für Stella zweimal die Zeit Δt' abläuft, und die Maßstabshyperbeln zeigen ganz klar, dass Δt' kleiner ist als Δt.
Nun ist Theresa aber nicht dumm. Sie weiß, dass sich ja die Erde bezüglich des Raumschiffs bewegt, folglich muss aus Stellas Sicht natürlich während jedes der beiden Flüge Theresa langsamer altern als Stella. Also wird sie selbst bei Stellas Rückkehr die jüngere sein!
Wenn es tatsächlich so wäre, hätten wir ein ernstes Problem: Denn nach der Rückkehr können die beiden ihre Alterungserfahrungen (oder ihre Kalender) wirklich vergleichen, und es ist nicht gleichzeitig möglich, dass auf dem Kalender von Theresa weniger Tage abgehakt sind als auf dem von Stella *und* dass auf dem von Stella weniger Tage abgehakt sind als auf dem von Theresa. Das wäre *echt* paradox, in sich widersprüchlich. Und jedes Paradoxon muss ja seine Auflösung darin finden, dass es sich als nur scheinbar paradox erweist.
Nun,
Stella lässt sich auch nicht ins Bockshorn jagen. Sie hat längst
aufgezeichnet, wie der Flug aus ihrer Sicht aussieht. Das ist das nächste
Diagramm. Während des Fluges in Richtung Centaurus vergeht für
Theresa die Zeit Δt*, die tatsächlich kürzer ist als
Δt', wie wieder die Maßstabshyperbel beweist. Während
des Rückfluges ist es ebenso. Aber: die beiden Zeiten schließen
sich nicht unmittelbar aneinander an, dazwischen ist eine Lücke! Denn
Stella wechselt das Inertialsystem. Sie geht beim Umkehren über vom
Bezugssystem (x' t') zum System (x" t"). Während des Umkehrvorgangs
altert aus ihrer Sicht Theresa unheimlich schnell. Nach dem Umkehren altert
sie wieder langsamer als Stella (aber sie holt den Zeitverlust bis zur
Rückkehr nicht wieder ein).
Übrigens ist die Lücke, wie das Bild auch zeigt, abhängig von der *Entfernung* bei der Umkehr. Bei doppelt so großer Entfernung von der Erde aber gleichen Geschwindigkeitsverhältnissen wird sie doppelt so groß. Sie hat nichts mit der Stärke oder Dauer der *Beschleunigung* beim Umkehren zu tun.
Der Denkfehler ist also anzunehmen, dass die Situation der Zwillinge symmetrisch ist. Das ist sie nicht. Zwar verhalten sich die *relativen* Beschleunigungen der beiden symmetrisch zueinander [*], aber die von Stella ist mit einem echten Wechsel des Inertialsystems verbunden, merkbar an dem Andruck bei der Beschleunigung zwecks Bewegungsumkehr, während die von Theresa keinen Wechsel des Inertialsystems beinhaltet (als das die Erde hier näherungsweise angesehen wird). Sie merkt ja auch auf der Erde nichts von einer Bewegungsumkehr.
Hätten wir Drillinge, also etwa noch eine Ursula, die in der entgegengesetzten
Richtung davonfliegt wie Stella, mit einem exakt symmetrischen Beschleunigungsprogramm,
so wären bei der Rückkehr Ursula und Stella gleich alt (und beide
jünger als Theresa). Dass tatsächlich Stella jünger bleibt,
lässt sich ohne Rechnung nur aus dem ersten Diagramm sehen,
da wir beim zweiten ja nicht unmittelbar aus der Zeichnung entnehmen können,
wie groß die Summe von 2 mal Δt* plus der Lücke im Vergleich
zu 2 Δt' ist. Das zeigt, dass es im allgemeinen einfacher ist,
Physik in Inertialsystemen zu beschreiben als in Nichtinertialsystemen
(das Bezugssystem von Stella ist nicht über die gesamte Dauer der
Reise inertial). Inertialsysteme können auch als solche Bezugssysteme
definiert werden, in denen die physikalischen Gesetze eine besonders einfache
Form haben.
[*] Kommentar 2012:
Da habe ich mich damals geirrt. In einer newtonschen Welt wären
die relativen Beschleunigungen entgegengesetzt gleich. Relativistisch
gesehen sind zwar die Geschwindigkeiten während der
gleichförmig geradlinigen Bewegungen beider Zwillinge aus beider
Sicht entgegengesetzt gleich. Aber schon das "während" in dieser
Aussage ist suspekt. In der durch die Lücke definierten Zeitspanne
Theresas hat Stella aus ihrer Sicht zwar immer eine wohldefinierte
Geschwindigkeit v oder -v, bis auf das kurze Zeitintervall der
Beschleunigung. Welche Geschwindigkeit soll Stella aber Theresa in dieser Zeitspanne
zuordnen, die für sie selbst nur ganz kurz ist? Theresa
erfährt in dieser Zeit aus Sicht Stellas eine Beschleunigung,
aber die ist gerade anders herum gerichtet, als man es erwarten
würde, und kann fantastische Werte erreichen. Während Stella
verzögert, wird die Längenkontraktion der Strecke zur Erde schwächer, d.h. die Erde entfernt sich von ihr! Bis Stella zum
Stillstand kommt, nimmt die Entfernung von etwas unter 2,4 Lichtjahren
auf 4 Lichtjahre zu, Theresa entfernt sich also mit
Überlichtgeschwindigkeit, wenn die Verzögerungsphase unter 1,6
Jahren dauert... Wenn Stella dann wieder beschleunigt, nimmt die
Entfernung zur Erde wieder dramatisch ab, von 4 Lichtjahren zum
Zeitpunkt des Stillstands auf unter 2,4 Lichtjahre, wenn sie die
Geschwindigkeit -v erreicht hat. Die Erde rast also für einige
Zeit überlichtschnell auf Stella zu!
Man kann offensichtlich nicht
von Symmetrie der Beschleunigungen sprechen, denn aus Theresas Sicht
ist Stella niemals solch drastischen Beschleunigungen ausgesetzt.
(Dass bei entgegengesetzt gleichen Geschwindigkeiten die
Beschleunigungen nicht zwangsläufig gleich sein müssen, ist
naheliegend, denn die Zeit, in der diese Geschwindigkeiten erreicht
werden, ist für beide unterschiedlich. Dass aber so dramatische
Effekte auftreten, das muss man sich erstmal durch den Kopf gehen
lassen...)
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