1. Newton


Klaus Kassner

 
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In der Physik pflegt man Vorgänge in *Raum* und *Zeit* zu beschreiben. Ein Kantianer könnte sagen, das sei notwendig so, da Raum und Zeit Anschauungsformen unserer Vernunft seien, die Bedingungen objektiver Erkenntnis sind und damit solcher Erkenntnis vorausgehen. Allerdings würde ein "harter" Kantianer auch leugnen, dass Raum und Zeit selbst *Objekte* einer physikalischen Theorie sein können. Die Physiker scheren sich nicht drum und wir werden sehen, dass die spezielle Relativitätstheorie letztlich eine Theorie der Struktur von Raum und Zeit ist. (Der Philosoph hat allerdings einen Ausweg: Er kann behaupten, dass der Raum und die Zeit der physikalischen Theorie nicht mit den uns a priori gegebenen Anschauungsformen von Raum und  Zeit identisch sind. Das wäre dann schon fast eine Lorentzsche Interpretation der Relativitätstheorie. Aber dazu kommen wir noch.)

Zwecks Veranschaulichung der Beschreibung in Raum und Zeit benützt man sogenannte Raum-Zeit-Diagramme. Der Einfachheit halber werde ich die zunächst für die Newtonsche Mechanik diskutieren. Und weil man vier Dimensionen (eine Zeit- und drei Raumdimensionen) so schlecht in der Ebene zeichnen kann, werde ich in den meisten Bildern nur eine Raumdimension benützen.

Galileitransformationen 1Das nebenstehende Bild zeigt ein Raum-Zeit-Diagramm, wie man es in der Newtonschen Mechanik benützen würde. Die Zeit-Achse (t) geht, vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, nach oben, die Raum-Achse (x) nach rechts. Ein Punkt A in einem solchen Diagramm wird ein *Ereignis* genannt. Das ist eine etwas vom üblichen Gebrauch des Wortes abweichende Definition. Schlimmer noch, häufig gebrauchen Physiker (und ich mache da keine Ausnahme) das Wort auch noch im üblichen Sinn, also als etwas, das ein punktuelles Geschehen kennzeichnet. Das ist nicht ganz so fehlerträchtig wie es den Anschein hat, denn wie sonst sollte man einen Punkt in Raum und Zeit eindeutig kennzeichnen als durch etwas was dort gerade geschieht? (Koordinatensysteme sind ja Geschmackssache.)

Nun betrachten wir ein Objekt oder einen Beobachter, der sich relativ zu dem durch unser (xt)-System gekennzeichneten Bezugssystem mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegt. Solch eine Bewegung ist etwa durch den blauen Pfeil gegeben. Eine derartige Linie im Raum-Zeit-Diagramm, die die Bewegung eines Objekts beschreibt, nennt man *Weltlinie*. In unserem Fall ist es wegen der angenommenen konstanten Geschwindigkeit eine Gerade, und der Kehrwert ihrer Steigung entspricht der Geschwindigkeit.

Weshalb habe ich an den blauen Pfeil t' geschrieben? Nun, wenn es sich um die Weltlinie eines Beobachters handelt, dann ist das auch gleichzeitig die Zeitachse im Bezugssystem dieses Beobachters. Wieso? Die Zeitachse ist ja der Ort aller Punkte mit einer festen Ortskoordinate (die t-Achse ist durch x=0 gegeben). Für einen Beobachter, der sich entlang der blauen Weltlinie bewegt, ist aber der Ort aller Punkte mit x'=0 gerade diese Linie. Und so wie man die Koordinaten des Punkts A im System (xt) durch Parallelprojektion auf die Achsen x und t erhält (grüne gestrichelte Linien), so sind sie im System (x' t') durch Parallelprojektion auf die Achsen x' und t' zu bestimmen. Da in der Newtonschen Mechanik die Zeit absolut und für alle Beobachter gleich ist, ist die x'-Achse (der Ort aller Punkte mit t'=0) identisch mit der x-Achse (dem Ort aller Punkte mit t=0). Die Projektion ist also entlang der blauen gestrichelten Linie entlang der waagerechten grünen durchzuführen.

Man sollte sich hier gleich klarmachen, dass aufgrund der Neigung der t'-Achse der *Zeitmaßstab* im blauen Koordinatensystem ein anderer ist als im schwarzen. Denn die Zeit t=t'=1 ist durch einen waagerechten Schnitt (z.B. den schwarzen waagerechten Strich) gegeben, der offenbar eine längeren Strecke auf der t'-Achse abschneidet als auf der t-Achse. Wann immer wir mit solchen nicht rechtwinklig gezeichneten Koordinatensystemen zu tun haben, werden wir uns mit solchen Maßstabsfragen befassen müssen.

Galileitransformationen 2Eine zentrale Aussage der Newtonschen Mechanik ist nun das *Relativitätsprinzip* der Mechanik. Es besagt, dass durch kein denkbares *mechanisches* Experiment feststellbar ist, mit welcher konstanten Geschwindigkeit man sich denn nun bewegt. Anders ausgedrückt, alle konstanten Geschwindigkeiten sind *relativ*, es gibt kein absolutes Bezugssystem, das einem erlauben würde, eine Geschwindigkeit absolut festzulegen. Alle Geschwindigkeiten sind nur bis auf einen beliebigen konstanten Wert definiert. Nochmal anders ausgedrückt, der *Ort* ist keine absolute Größe. Die physikalischen Gesetze haben für die Beobachter im (xt)-System und im (x' t')-System genau die gleiche Form. Ein Objekt aber, das sich im (x' t')-System an einem festen Ort (x') befindet, bewegt sich im (xt)-System (und umgekehrt). Der Newtonsche Raum ist also durchaus nicht so absolut, wie das manchmal geglaubt wird. Da alle mechanischen Gesetze unter den sogenannten *Galilei-Transformationen* invariant sind -- das sind die mathematischen Beziehungen, die es erlauben, von den Koordinaten eines sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegenden Koordinatensystems auf die eines anderen umzurechnen -- kann man dem Raum nicht die Eigenschaft der Ruhe oder Bewegung zusprechen. Das gilt für *geradlinige gleichförmige* Bewegungen (= konstante Geschwindigkeit).

Dass dem Newtonschen Raum durchaus eine feste *Rotationsgeschwindigkeit* (z.B. Null) zugesprochen werden kann, zeigt das berühmte Newtonsche Eimerexperiment. Wenn man einen Eimer mit Wasser rotieren lässt, dann wird sich nach einer Weile ein Gleichgewichtszustand der Wasseroberfläche in der Form eines Rotationsparaboloids einstellen. Aus dem Krümmungsradius dieses Paraboloids im Zentrum kann auf die Rotationsgeschwindigkeit des Eimers gegenüber dem "absoluten Raum" geschlossen werden. Ist die Krümmung Null, d.h. die Oberfläche eben, rotiert der Eimer nicht.

Für geradlinige gleichförmige Bewegungen aber gilt das Relativitätsprinzip, d.h. unser schwarzer und blauer Beobachter sind völlig gleichberechtigt. Jeder kann sich zu Recht als in Ruhe befindlich betrachten. Zwar bevorzugt unsere Darstellung den schwarzen Beobachter,aber das lässt sich leicht ändern, wie das Bild rechts zeigt, dessen Informationsgehalt natürlich genau der gleiche ist wie der des ersten Bilds. Aber jetzt haben wir dem blauen Beobachter rechte Winkel zugebilligt.


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